Partys, Boom und Pandemien
Sep 2021

Interview Joachim Voth

Eine ZDF-Dokumentation schaut auf vier historische Pandemien und deren Langzeitfolgen zurück. UBS Foundation Professor Joachim Voth zeigt auf, wieso die Engländer die Zeit nach der Pest als das "goldene Zeitalter der einfachen Arbeitskräfte" beschrieben. «So reich, wie die Menschen im 14. und 15. Jahrhundert sind, sind sie bis ins 19. Jahrhundert nicht mehr,» fasst er den heutigen Stand der Forschung zusammen.

Dies ist ein Video Transkript (von 12:18 bis 15:16) aus der ZDF Dokumentation Partys, Boom und Pandemien | Leben nach den großen Seuchen, verfügbar bis 30.07.2026

Nach der Pest im 14. Jahrhundert werden vielerorts die Karten neu gemischt. Es gibt Gewinner und Verlierer.

«Erster Effekt ist: Wenn so viele Menschen sterben, gibt es massive wirtschaftliche Verwerfungen und eine kleine Wirtschaftskrise. Was dann passiert ist eher überraschend, vor allem aus heutiger Sicht: eine enorme Zunahme der Reallöhne. Eine Verbesserung des Lebensstandards der normalen, der arbeitenden Bevölkerung. Deren Einkommen steigt und Faktor zwei bis drei.

Wer die Pest überlebt hat, arbeiten kann und ein Handwerk beherrscht, hat beste Chancen auf ein gutes Auskommen und sogar Wohlstand.

Denen mit eigener Arbeitskraft geht es gut. Wem geht es richtig schlecht? Den Landbesitzern. Wenn ich ein Gut habe und ich muss Arbeitskräfte anstellen und bezahlen, muss ich denen plötzlich viel höhere Löhne zahlen. Wir sehen das auch in dem Essen, das immer ein Teil dieses Arbeitsvertrags war. Die hat man vorher abgespeist mit ein bisschen Grütze und Brot. Anschliessend ist Teil des Arbeitsvertrags: Es gibt Fleisch und Fisch soundsoviel Tage pro Woche, es gibt jeden Tag Bier. Das nennen die Engländer das "goldene Zeitalter der einfachen Arbeitskräfte". Da gibt es Roastbeef und Lederschuhe für den einfachen Arbeiter, 100, 150 Jahre nach dem Ausbruch der Pest.

Wie kann es nach dem Schrecken der Pest zu einem solchen Aufschwung kommen?

In einer agrarisch geprägten Gesellschaft gibt es eine Kernkennzahl die entscheidet, wie reich die Leute sind: Wie viel Land habe ich relativ zur Anzahl meiner Leute? Wenn die Anzahl der Leute um 50 Prozent zurückgeht, habe ich quasi doppelt so viele Ressourcen pro Kopf.

Im Mittelalter gibt es noch keine Industrie. Alle Güter des verarbeitenden Gewerbes werden von Handwerkern hergestellt. Die Preise steigen und damit ihr Wohlstand.

So reich, wie die Menschen im 14. und 15. Jahrhundert sind, sind sie bis ins 19. Jahrhundert nicht mehr.

Zu den Gewinnern gehören auch Frauen.

Die Schäferin hatte vor 1350 relativ wenig Arbeit, weil die meisten so arm waren, dass sie nur Getreide essen konnten, was man hinter dem Pflug besser mit männlicher Arbeitskraft erntet. Nach 1350 ändert sich das. Da ist plötzlich Schafehüten, Kühemelken und so weiter ein essenzieller Teil des Wirtschaftsprozesses. Weil die Arbeit von Frauen jetzt mehr wert ist - mehr Arbeit ist gefragt, die kompatibel ist mit dem relativen Vorteilen von Frauen -, steigt auch deren Heiratsalter. Auf paradoxe Art und Weise der erste Schritt zur Women's Power dank der Pest.

Eine ZDF-Dokumentation schaut auf vier historische Pandemien und deren Langzeitfolgen zurück. UBS Foundation Professor Joachim Voth zeigt auf, wieso die Engländer die Zeit nach der Pest als das "goldene Zeitalter der einfachen Arbeitskräfte" beschrieben. «So reich, wie die Menschen im 14. und 15. Jahrhundert sind, sind sie bis ins 19. Jahrhundert nicht mehr,» fasst er den heutigen Stand der Forschung zusammen.

Dies ist ein Video Transkript (von 12:18 bis 15:16) aus der ZDF Dokumentation Partys, Boom und Pandemien | Leben nach den großen Seuchen, verfügbar bis 30.07.2026

Nach der Pest im 14. Jahrhundert werden vielerorts die Karten neu gemischt. Es gibt Gewinner und Verlierer.

Joachim Voth, UBS Foundation Professor of Macroeconomics and Financial Markets
Joachim Voth, UBS Foundation Professor of Macroeconomics and Financial Markets

Zitat

So reich, wie die Menschen im 14. und 15. Jahrhundert sind, sind sie bis ins 19. Jahrhundert nicht mehr.

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UBS Foundation Professor of Macroeconomics and Financial Markets

Joachim Voth received his PhD from Oxford in 1996. He works on financial crises, long-run growth, as well as on the origins of political extremism. He has examined public debt dynamics and bank lending to the first serial defaulter in history, analysed risk-taking behaviour by lenders as a result of personal shocks, and the investor performance during speculative bubbles. Joachim has also examined the deep historical roots of anti-Semitism, showing that the same cities where pogroms occurred in the Middle Age also persecuted Jews more in the 1930s; he has analyzed the extent to which schooling can create radical racial stereotypes over the long run, and how dense social networks (“social capital”) facilitated the spread of the Nazi party. In his work on long-run growth, he has investigated the effects of fertility restriction, the role of warfare, and the importance of state capacity. Joachim has published more than 80 academic articles and 3 academic books, 5 trade books and more than 50 newspaper columns, op-eds and book reviews. His research has been highlighted in The Economist, the Financial Times, the Wall Street Journal, the Guardian, El Pais, Vanguardia, La Repubblica, the Frankfurter Allgemeine, NZZ, der Standard, der Spiegel, CNN, RTN, Swiss and German TV and radio.

UBS Foundation Professor of Macroeconomics and Financial Markets

Joachim Voth received his PhD from Oxford in 1996. He works on financial crises, long-run growth, as well as on the origins of political extremism. He has examined public debt dynamics and bank lending to the first serial defaulter in history, analysed risk-taking behaviour by lenders as a result of personal shocks, and the investor performance during speculative bubbles. Joachim has also examined the deep historical roots of anti-Semitism, showing that the same cities where pogroms occurred in the Middle Age also persecuted Jews more in the 1930s; he has analyzed the extent to which schooling can create radical racial stereotypes over the long run, and how dense social networks (“social capital”) facilitated the spread of the Nazi party. In his work on long-run growth, he has investigated the effects of fertility restriction, the role of warfare, and the importance of state capacity. Joachim has published more than 80 academic articles and 3 academic books, 5 trade books and more than 50 newspaper columns, op-eds and book reviews. His research has been highlighted in The Economist, the Financial Times, the Wall Street Journal, the Guardian, El Pais, Vanguardia, La Repubblica, the Frankfurter Allgemeine, NZZ, der Standard, der Spiegel, CNN, RTN, Swiss and German TV and radio.